Stolz bringen die Kämpfer Ahrar al-Sham ihren Raketenwerfer in Stellung. Unter lauten „Allah Akbar“-Rufen fliegen die Geschosse mit lautem Zischen und Feuerstrahl aus den Rohren der Abschussbatterie. Doch nicht Stellungen der Armee von Präsident Baschar al-Assad oder rivalisierende Milizen sind das Ziel. Ihr neuer Gegner in Syrien heißt: Russland.
Die Raketen der Ahrar al-Sham, die zu Al-Qaida gehören sollen, gelten der neuen russischen Hmaimim-Militärbasis in der Nähe von Latakia am Mittelmeer. Von dort starten die russischen Kampfflugzeuge, um die syrischen Rebellen zu bombardieren. Der Beschuss mit Grad-Raketen auf den russischen Flughafen hat vor einer Woche aus den umliegenden Bergen begonnen, am Wochenende ist er stärker geworden.
Allein an einem Tag seien 49 der Raketen russischer Bauart abgefeuert worden, die aus erbeuteten Beständen der Assad-Truppen stammen. Die Rebellen wollten die Landebahn treffen, doch die Zielgenauigkeit ist schlecht. Nur „zwei Geschosse schlugen in der Nähe der Luftwaffenbasis ein“, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) meldete.
Dennoch gilt auf der russischen Militärbasis höchste Alarmbereitschaft. Ein Bataillon Marinesoldaten hat die Sicherung und Verteidigung übernommen, die militärische Ausstattung ist gut: Die neueste Generation von T-90-Panzern, Artillerie, Kampfhubschrauber und das hoch entwickelte Luftabwehrsystem SA-22. Vor der Küste kreuzen ein Überwachungsschiff, zwei mit Lenkflugkörpern ausgerüstete Boote sowie amphibische Marineschiffe. Russland nimmt sein Engagement in Syrien ernst.
Die Stellungen der Rebellen, gegen die Russland seit knapp einer Woche Krieg führt, sind nur 40 Kilometer entfernt – und die Rebellen rücken im Schutz der Berge näher heran. Ein Teil der russischen Flotte von mehr als 50 Kampfflugzeugen ist bereits auf die Flughäfen bei Homs und Damaskus ausgewichen, weil auf der Hmaimim-Basis nicht genügend bombensichere Hangars zur Verfügung stehen. „Jeder, der sich daran beteiligt, syrisches Blut zu vergießen, ist ein Angriffsziel“, gibt der Rebellenkommandeur bekannt, der für den Abschuss der Grad-Raketen verantwortlich ist.
In den Bergen von Latakia lagern aber auch Gruppen, die mit Russland noch eine ganz besondere Rechnung offen haben: tschetschenische Islamisten. Mindestens drei dieser kaukasischen Kampftruppen haben Kämpfer und Feldkommandeure in ihren Reihen, die russische Soldaten schon im Nordkaukasus getötet haben.
„Das sind wirklich durchgeknallte Leute“, sagt ein syrischer Rebell der Islamischen Front. „Sie haben große Kampferfahrung, nicht die geringste Angst und sind total fanatisch.“ Sie würden an der Front die unmöglichsten Dinge tun, aber trotzdem überleben.
Die drei tschetschenisch geführten Hauptgruppen sind die Adschnad al-Kawkas, Dschund al-Scham und die kleinere Truppe Tarkhan’s Dschamaat. Alle drei kämpfen an der Seite des syrischen Al-Qaida-Ablegers der Nusra-Front und der nationalistisch ausgerichteten Islamisten von Ahrar al-Scham.
Die tschetschenischen Ultraradikalen sind für den russischen Präsidenten Wladimir Putin ein doppeltes Sicherheitsrisiko. Sie haben bereits mehrere Terroranschläge in Russland verübt. Dass nun bereits 2400 kaukasische Kämpfer in den Reihen des IS kämpfen, dürfte ein Grund für die russische Intervention sein. Es ist in gewisser Weise ein nach Syrien exportierter Krieg.
Russland hat in Syrien nur einen Freund: Präsident Baschar al-Assad, dessen Regime mit russischer Amtshilfe vor dem Kollaps bewahrt werden soll. Alle anderen Kriegsteilnehmer werden gnadenlos bombardiert. Unterschiedslos werden von den radikalen bis zu den moderaten Islamisten, die nicht auf den Dschihadzug aufgesprungen sind, alle bekämpft, ob Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA), die teilweise von den USA trainiert und ausgerüstet wurden, oder die diversen Milizen, einschließlich des IS, der aber nur einer von vielen Gegnern ist.
Jeder Gegner der syrischen Armee von Assad ist auch ein Feind der Russen. Die russischen Kampfjets kompensieren Schwächen der Regierungstruppen und scheinen eine weitere groß angelegte Bodenoffensive der Armee vorzubereiten: Aus Hama wurden Truppen an die Front in die Provinz Idlib verlegt.
„Aus Moskaus Sicht sind das alles Terroristen“
Ein koordiniertes Vorgehen der Russen ist bisher nicht ersichtlich. Sie greifen überall mal an und ziehen sich danach wieder zurück. Am Wochenende traf es turkmenische Oppositionsgruppen in den Bergen nahe der Grenze zur Türkei. Auch in Dschebel al-Sauwia, wo sich moderate Rebellen verschanzen, schlugen russische Bomben ein.
Die Kampfjets würden strategisch wichtige Ziele von Terrorgruppen „noch intensiver“ bombardieren, sagte Generaloberst Andrej Kartapolow vom russischen Verteidigungsministerium. In den vergangenen Tagen seien etwa 60 Angriffe auf rund 50 Stellungen geflogen worden. Rund 600 Kämpfer hätten den IS „aus Furcht vor Angriffen“ verlassen. Die SOHR zog eine andere Bilanz: Innerhalb von vier Tagen seien 39 Zivilisten durch die russischen Luftschläge ums Leben gekommen, darunter acht Kinder. Nur zwölf IS-Dschihadisten und zwei Kämpfer der al-Qaida nahen Al-Nusra-Front seien getötet worden.
„Es ist sehr deutlich, dass Russland zwischen dem IS und der legitimen syrischen Opposition nicht unterscheidet“, befand der britische Premierminister David Cameron. „Es unterstützt einzig und allein den Schlächter Assad.“ Und US-Präsident Barack Obama warf Moskau vor, den IS mit seinen Luftangriffen zu stärken. Das russische Vorgehen treibe die gemäßigten Rebellen in den Untergrund, sagte Obama in Washington. Dass Russland nicht zwischen dem IS und den gemäßigten Aufständischen unterscheide, könne zu einer Katastrophe führen. „Aus ihrer Sicht sind das alles Terroristen.“